PKK verkuendet Waffenstillstand

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Sun Aug 30 19:36:00 BST 1998


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Der nachfolgende Artikel erscheint in SoZ Nr.18/98

"WANN EIGENTLICH, WENN NICHT JETZT ?"
PKK erklärt einseitigen Waffenstillstand

"Ich dachte Sie hätten uns geladen um uns zu erklären, daß Sie die Waffen niederlegen", lautete die provozierende Rückfrage eines Journalisten des türkischen Nachrichtensenders NTV. Doch der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans PKK ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Mit wohl überlegten Worten deklarierte er in einer live-Schaltung des kurdischen Fernsehsenders MED-TV vor Vertretern des kurdischen Exilparlamentes und Repräsentanten europäischer Friedens- und Menschenrechtsgruppen sowie dem versammelten türkischen Journalistentroß, einen unbefristeten Waffenstillstand. Dieser solle am 1. September, dem internationalen Antikriegstag, in Kraft treten.
Bereits zweimal zuvor hatte die PKK einen einseitigen Waffenstillstand erklärt. In keinem der Fälle war die türkische Seite gewillt auf das Angebot einer politischen Lösung einzugehen. Türkische Truppen führten ihre Angriffe gegen die kurdische Zivilbevölkerung mit unverminderter Härte fort. So beendete 1993 nach nur kurzer Zeit der Übergriff einer PKK-Einheit auf unbewaffnete Militärs die einseitige Waffenruhe. 1995 und 1996 hielt die kurdische Guerilla immerhin acht Monate lang den Provokationen von Seiten des Militärs stand, bevor sie den Kampf ihrerseits wieder aufnahm. Heute, so betonte Öcalan, seien die Bedingungen für die Einleitung eines Friedensprozesses weit günstiger, als in den Vorjahren. Man werde sich zwar gegen militärische Übergriffe verteidigen, sich jedoch nicht durch Provokationen dazu verleiten lassen, den Waffenstillstand vorschnell wieder aufzukündigen.
Öcalan betonte, daß dieser Entschluß nicht aus der Position militärischer Schwäche heraus gefaßt worden sei, sondern ein Verhandlungsangebot im Bewußtsein der eigenen Stärke beinhalte. In diesem Sinne wolle er diesen Schritt als historische Chance für die Konfliktparteien verstanden wissen, der in einen dauerhaften Friedens- und Demokratisierungsprozeß münden müsse.
Der Waffenstillstand erstrecke sich nur auf den türkischen Teil Kurdistans, da von Seiten der KDP in Südkurdistan keinerlei Signale gekommen seien, die auf eine positive Beantwortung des Waffenstillstands schließen ließen. Zwischen den Zeilen ließ Öcalan damit durchblicken, daß auf türkischer Seite offensichtlich derartige Signale existieren. Auf etwaige Absprachen hinter vorgehaltener Hand angesprochen, lehnte er es jedoch ab, zum jetzigen Zeitpunkt Details und Namen zu nennen. Er wolle vermeiden, daß verhandlungswillige Personen im türkischen Machtapparat durch vorzeitige Publizierung ihrer Ansichten unter chauvinistischen Druck geraten und unter Zugzwang ihre Positionen in der Öffentlichkeit nicht mehr durchhalten können. Er erwarte jedoch positive Schritte seitens der Türkei.
Zunächst blieben diese positiven Schritte jedoch aus. In ersten offiziellen Stellungnahmen wiesen türkische Politiker das Angebot als unglaubwürdig zurück. Während Vize-Ministerpräsident Bülent Ecevit rundweg erklärte, die PKK werde sich ohnehin nicht an den Waffenstillstand halten, gab sich Ministerpräsident Yilmaz allerdings durchaus zögerlicher bei der Wahl der Worte, mit denen er das Angebot zu einer politischen Lösung ablehnte. "Wenn dies ein Spiel ist, so ist es sinnlos," erklärte er gegenüber der Presse. "Wenn Öcalan verstanden hat, daß er den türkischen Staat nicht bekämpfen kann, daß das ausweglos ist, so ist dies ein Fortschritt. Dann warte ich darauf, daß noch mehr folgt. Aber wenn dies nur gedacht ist, um Unterstützung in Europa zu gewinnen, wird es zu nichts führen. Wir werden ihn niemals als Gesprächspartner akzeptieren, aber wenn er sagt, daß es aussichtslos sei und sich ergeben will, dann soll er auf diesem Weg weitergehen."
Mit öffentlich erklärter Verhandlungsbereitschaft lassen sich bei den bevorstehenden Parlamentswahlen für keine der staatstragenden Parteien Mehrheiten gewinnen. Seit jeher setzen diese auf chauvinistische Rethorik um Stimmengewinne einzufahren. Vor diesem Hintergrund und angesichts unkalkulierbarer Reaktionen des Militärs scheinen die von Yilmaz gewählten Worte durchaus weitreichender als 1995. Auch die türkische Presse wagte sich mit Zitaten aus der Rede Öcalans und dem Abdruck der Stellungnahmen der vom Verbot bedrohten prokurdischen HADEP weit vor. Nun wartet die Öffentlichkeit auf erste Reaktionen aus dem Militär, dessen neuer Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu am Tag der Waffenstillstandserklärung sein Amt angetreten hat.
Unterdessen schaffte Mehmet Cakir, Polizeichef von Istanbul und berüchtigter Gegner friedlicher Lösungen, zunächst Fakten. Im Zuge der gewaltsamen Auflösung einer Menschenrechtskundgebung in Istanbul wurden am nächsten Tag insgesamt 163 Personen von der Polizei verhaftet. Wie jeden Samstag hatten die "Samstagsmütter" - Angehörige von Menschen, die in Polizeihaft "verschwunden" sind - versucht, sich vor dem Galatasaray zu versammeln. Dort fordern sie seit Jahren mit friedlichen Mitteln die Aufklärung der an ihren "verschwundenen" Verwandten begangenen Verbrechen. An diesem Samstag wurden sie alle verhaftet. Zeitgleich umzingelten Polizeieinheiten den türkischen Menschenrechtsverein IHD und nahmen sämtliche Personen fest, die das Gebäude verlassen wollten. Unter den Festgenommen befanden sich auch die beiden Vizevorsitzenden des IHD, die AnwältInnen Eren Keskin und Osman Baydemir, ebenso wie zwei österreichische StaatsbürgerInnen, zahlreiche Mitglieder des Menschenrechtsvereines, der Parteien ÖDP (Partei für Freiheit und Solidarität) und der HADEP (Demokratische Volkspartei).
Die Verhaftungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit einer geplanten Friedenskarawane, zu der der Menschenrechtsverein aufruft. Unter dem Motto "Frieden: Wann eigentlich, wenn nicht jetzt?" soll die Karavane von Istanbul nach Diyarbakir ziehen und dort am internationalen Antikriegstag eintreffen. Mit dieser Aktion wollen KünstlerInnnen, Intelektuelle und MenschenrechtsaktivistInnen aus dem ganzen Land die Beendigung des Krieges in den kurdischen Provinzen einfordern.
Die Bereitschaft von Regierung und Militär zu einer politischen Lösung zu gelangen, wird sich daran messen lassen müssen, ob die Karavane Diyarbakir erreicht.
(Knut Rauchfuss)





Auszüge aus der Waffenstillstandserklärung der PKK:

"Schon seit längerer Zeit wird seitens des europäischen Parlaments und einiger Friedensinitiativen [...] von uns erwartet, daß die PKK Schritte für eine politische Lösung einleitet. [...] Diese Haltung hat uns Mut gemacht. [...] Terror und Gewalt sind niemals mit menschlichen Prinzipien zu vereinbaren. [...] Wenn die die gegen uns ausgeübte Gewalt auch nur zum Teil zurückgenommen würde, wenn die menschlichen Grundprinzipien und die Menschenrechte verwirklicht, die Entwicklung der Demokratie und ein Dialog über die politischen Probleme begonnen würden, dann könnten wir ohne jeden Zweifel behaupten, daß keine andere Organisation und kein anderes Volk sich mehr nach Frieden sehnt als wir. [...] Es macht uns stolz, den ersten Schritt zu unternehmen.
[...] Wenn wir die aktuelle Situation der Türkei ansehen, dann ist ihr Hauptproblem ihre Demokratisierung und nicht das Kurdenproblem, auch wenn das diesen Anschein hat. Das Kurdenproblem und die Nichteinhaltung der Menschenrechte resultieren aus undemokratischen Verhältnissen. [...] Wir waren niemals gegen die Republik, wir sind auch nicht gegen die Republik Türkei. [...] Es ist keine Abwertung der Republik und keine Übertreibung, wenn festgestellt wird, daß diese Republik den Menschen seit 75 Jahren keine Demokratie gebracht hat. Das Volk ist niemals in den Genuß der Demokratie gekommen. Es ist viel davon geredet worden, aber es wurde nicht in die Realität umgesetzt. Es ist ein grundlegend antidemokratisches Verständnis, das sich bei vielen Istitutionen, besonders bei allen politischen Parteien, die sämtlich von oligarchischen Führern gelenkt werden, wie eine ansteckende Krankheit verbreitet hat. Das wird dem Volk als Demokratie präsentiert. Die Demokratie muß von dieser Scheinheiligkeit befreit werden. Die Demokratie muß im Volk verwurzelt sein. Dies ist keine Beleidigung der Republik und schon gar keine Teilung. [...]
Seit den 70er Jahren hat die Gewalt ein Ausmaß erreicht, das nur bei faschistischen Regimes bekannt ist, und Zehntausende sind durch unentwegte Repression und Provokationen getötet worden. Das Entstehen der PKK ist ein Produkt dieser Entwicklung. Die kurdische Frage ist nicht unsere Erfindung. [...] Es wird viel von Brüderlichkeit geredet, aber statt diese Brüderlichkeit zu praktizieren, wird gesagt, daß die Souveränität und die Unteilbarkeit der Türkei nicht in Frage gestellt werden darf. In Ordnung, aber für wen gilt diese Unteilbarkeit? Und wer greift heir wessen Rechte an? Warum wird es als Seperatismus bezeichnet und als Angriff auf die Hoheit der Türkei verstanden, wenn wir von Euch verlangen, das zu verstehen? [...]
Wenn sie die Möglichkeit einer politischen, demokratischen Lösung sehen, sind wir bereit, ihren Forderungen entgegenzukommen, damit nach 75 Jahren vorrangig das Demokratie-Problem der Türkei gelöst wird, damit nicht weiter dieser hohe Preis des Krieges gezahlt werden muß, damit die Menschenrechtsverletzungen aufhören und den Aktivitäten der Mafia-Banden ein Ende gesetzt wird. Wenn sie wirklich ernsthaft dazu bereit sind, sich dafür einzusetzen, respektieren wir das derzeitige Recht und richten uns nach den elementaren Menschenrechten und den Regeln der Demokratie. Wir haben damit keine Schwierigkeiten. Wir verletzen diese Dinge nicht. [...]
Aus dieser Haltung heraus und um den weltweiten Kräften für Frieden und ihrer Sehnsucht nach Frieden am ersten September, dem Weltfriedenstag, eine Antwort zu geben, den Beschlüssen des Europaparlaments und der stärker werdenden Öffentlichkeit der Türkei entgegenzukommen, haben wir uns zu folgendem Schritt entschlossen: Ab dem 1. September beginnt ein Waffenstillstand."
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