Offener Brief von Dino Frisullo
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Sat May 9 17:45:00 BST 1998
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Offener Brief von Dino Frisullo an die Zeitung Ülkede Gündem
"Zuerst möchte ich all jene Freunde grüßen, die ich im Gefängnis zurücklassen mußte. Ich weiß, daß sie nicht die Möglichkeit haben werden, diese Zeilen zu lesen, da diese Zeitung - die einzige Zeitung in der Türkei, die über ihre Schwierigkeiten und ihre Hoffnungen spricht - verboten ist, verboten für sie und für alle Menschen in der kurdischen Region. Aber vielleicht werden sie diesen Brief in der Zukunft einmal zu Gesicht bekommen.
Ich stehe nun bei ihnen in großer Schuld. Im Gefängnis war ich ihr Gast und ihr Zeuge. Auch die Ärmsten von ihnen erlaubten mir nicht, auch nur eine einzige Lira auszugeben. Sie gaben mir ihre Gastlichkeit und ihre Freundschaft, wie sie es als kurdische Menschen für gewöhnlich tun, aber mehr noch: sie schenkten mir ihr Vertrauen, ihre Lebensgeschichten, die einen Teil der gesamten Leidensgeschichte des kurdischen Volkes bilden. Ich werde ihre Stimme sein, die Stimme der kurdischen Häftlinge in Europa. Ich werde für sie schreien, wie ich es im Gerichtssaal getan habe, werde ausrufen, daß alle von ihnen unter Druck gesetzt werden, mit dem Militär zu kollaborieren und daß alle von ihnen, politische, wie auch gewöhnliche Gefangene, Frieden und Würde ersehnen.
Ich werde in ganz Europa erklären, daß der Knast, wo ich einen Monat lang gefangen gehalten wurde, kein 'normales' Gefängnis ist, wo es irgendein 'normales' Verhältnis zwischen Strafe und begangenem Verbrechen gäbe, das Gefängnis von Diyarbakir ist vielmehr ein Teil des Krieges mit der systematischen und totalen Unterscheidung und Diskriminierung von 'Politischen', 'Geständigen' und 'Normalen' und der alltäglichen Benutzung der Aussagen der 'Geständigen' für militärische Operationen.
Ich werde versuchen einzelne Fälle vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu bringen. Und ich werde versuchen, die breite Bewegung für meine Freilassung und die Solidarität mit mir, in eine Bewegung zu verwandeln, die in der kurdischen Frage den internationalen Druck erzeugt, der für den Beginn eines Friedensdialoges nötig ist. Ich kann diese Hunderte von Jagdbombern nicht vergessen, die über Diyarbakir in Richtung auf die Berge zuflogen und nicht jene Panzer, 'Made in Italy' oder aus Deutschland oder den USA, die an Newroz auf die Kinder feuerten.
Und in jedem Fall werde ich nach Diyarbakir zurückkehren, um mich meinem Prozeß zu stellen.
Ich möchte allen Menschen aus Diyarbakir danken, für die große Fröhlichkeit und das Fest in Batikent und für die Aufmerksamkeit, die sie meinem Prozeß erwiesen. Jeden Tag erhielt ich einen Beweis dessen, durch die Verwandten von Mithäftlingen, sogar über meine Wärter. Schließlich, am Tag meiner Verhandlung, wurde eine Gruppe von Frauen durch die Polizei geschlagen, nur weil sie meiner Freilassung beiwohnen und sie feiern wollten, weil diese Freilassung auch ein Sieg für sie war.
Ich werde dies alles niemals vergessen, auch nicht den Einsatz meiner Anwälte aus Diyarbakir und Istanbul und der kurdischen JournalistInnen, speziell von MED-TV. Im Fernsehen auf unserer Zelle konnte ich täglich die Berge von Lügen und militaristischer Rhetorik erfahren, die immer erbärmlicher werden und mit denen die kurdischen und türkischen demokratischen Organisationen und jedwede Hoffnung auf ein Ende des schmutzigen Krieges zugeschüttet werden sollen. Semdin Sakik ist niemals in das Gefängnis von Diyarbakir gebracht worden. Seine Zelle dort war reines Theater. Er selbst verblieb die ganze Zeit in den Händen des Militärs und der JITEM. Seine Stimme ist deren Stimme und seine 'Enthüllungen' sind ein Teil des Krieges. Auch das werde ich in Europa erklären.
Schließlich möchte ich Ülkede Gündem danken. Ich habe meinen zweiwöchigen Hungerstreik auch mit dem Ziel durchgeführt, Eure Zeitung für mich und die anderen Gefangenen frei zugänglich zu machen. Dies wurde verweigert und auch Eure Artikel über meinen Fall wurden mir erst nach der Entlassung übergeben. Aber ich weiß, daß Eure Zeitung das Herz der kurdischen Menschen ist, und das Herz aller freiheitsliebenden Menschen.
Heute scheint die Nacht sehr dunkel zu sein, aber Newroz, der neue Tag, wird kommen, über dem Berg Gebar ..."
Dino Frisullo, 29.04.1998
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