Fuer eine politische Loesung

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Tue Nov 24 23:58:00 GMT 1998


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## Nachricht vom 22.11.98 weitergeleitet
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PKK ändert politischen Kurs
Friedensverhandlungen jetzt herbeiführen

"Öcalan ist in Italien" verkündete die Schlagzeile der prokurdischen Tageszeitung Özgür Politika schon am Morgen des 29. Oktober - gut zwei Wochen zu früh. Zu diesem Zeitpunkt weilte der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans noch in Rußland, wo sich die Abgeordneten der Duma um Asyl für ihn bemühten.
Als Öcalan schließlich am Abend des 12. November tatsächlich in Rom eintraf, schlug die Nachricht von seiner vermeindlichen Verhaftung wie eine Bombe ein. Doch was der Weltöffentlichkeit als das unerwartete Auftauchen eines gescheiterten, sich auf der verzweifelten Flucht nach vorne befindenden Guerilla-Anführers erschien, ist in Wirklichkeit der vorläufige Höhepunkt einer von langer Hand vorbereiteten diplomatischen Offensive der PKK.
Nicht nur in ihren internen Publikationen diskutiert die PKK seit mehr als einem Jahr offen, daß ein Sieg über die türkische Unterdrückung nicht allein auf militärischem Wege zu erringen sei. Nach 15 Jahren Krieg ist die kurdische Bevölkerung ausgezehrt. Das türkische Militär hat weite Strecken des Landes in einen verbrannten und verminten Friedhof verwandelt. Unzählige Familien haben ein oder mehrere Angehörige verloren, und wer überlebt hat, befindet sich heute auf der Flucht, im Gefängnis oder in den Bergen bei der Guerilla. Anders, als die türkischen Medien Glauben machen wollen, steht die PKK dennoch keineswegs vor der militärischen Niederlage. Aber die Führungsebene der Partei hat erkannt, daß ein Krieg, der zwar weiterhin führbar wäre, deswegen noch lange nicht gewonnen werden kann. Erst recht nicht, wenn seine unnötige Verlängerung weiter auf dem Rücken einer Bevölkerung ausgetragen werden muß, zu deren Befreiung er eigentlich einmal begonnen wurde. 
Daher betont die PKK seit geraumer Zeit immer wieder ihre Bereitschaft, einer politischen Lösung den Vorzug zu geben. Dreimal hat sie einseitig einen Waffenstillstand verkündet, zweimal scheiterte dieser in erster Linie an der Uneinsichtigkeit der türkischen Armeeführung. Seit dem 1. September gilt der dritte einseitig ausgerufene Waffenstillstand, und diesmal scheint es, daß sich die kurdische Guerilla nicht mit einem schleichenden Scheitern abfinden, sondern die politische Lösung mit Hilfe einer diplomatischen Offensive erzwingen will. 
Während der letzten Jahre hat die kurdische Befreiungsbewegung in mühsamer Kleinarbeit das Netz ihrer internationalen Kontakte erweitert. Von Madrid bis Moskau, von Helsinki bis nach Athen ist es gelungen, Beziehungen auszubauen und einflußreiche Verbündete auf dem Weg zu einer politischen Lösung der kurdischen Frage zu finden. Doch obgleich die Forderung nach einer Beilegung des Konfliktes immer häufiger auch aus den Regierungsparteien verschiedener europäischer Staaten, bis hin zum Europaparlament erhoben wird, setzt die türkische Seite mit unverminderter Härte auf die militärische Karte. Dies fällt umso leichter, als die europäischen Forderungen bisher auf der Ebene verbaler Bekundungen verblieben sind.
Als Militär und Regierung der Türkei am 30. September ein weiteres Mal zum sogenannten endgültigen Schlag gegen die PKK ausholten, mit einem Großaufgebiet die Grenze zum Irak überschritten und Syrien mit einem Militärschlag drohten, ging die PKK in die diplomatische Offensive. Obgleich die türkische Agression gegen Damaskus ins Leere zu laufen drohte, da die von der Türkei erhoffte Unterstützung der beiden Hauptverbündeten Israel und USA ausblieb, die in den Tagen des Why Plantation Abkommens alles andere als eine Syrienkrise brauchen konnten; obwohl die Verhandlungen um eine Entschärfung des Konfliktes noch in vollem Gange waren; und trotz der Tatsache, daß die Bedrohung zu keinem Zeitpunkt ein Ausmaß erreicht hatte, das eine unbedingte Flucht Öcalans aus Damaskus erfordert hätte, verließ der PKK Vorsitzende zwei Wochen nach Ausbruch der Krise Syrien und machte sich auf den Weg nach Europa.
Dort liefen die Verhandlungen um eine etwaige Aufnahme des PKK-Chefs bereits auf Hochtouren. In Rußland, der ersten Etappe Öcalans, konnte man sich der breiten Unterstützung der Duma sicher sein. Diese forderte die russische Regierung mit einer Mehrheit von 298 Stimmen auf, dem kurdischen Anführer einen politischen Aufenthaltsstatus zu gewähren, scheiterte jedoch an der Weigerung Primakovs. Gleichwohl wurden sicherheitshalber ebenfalls in Italien und anderen europäischen Ländern längst Aufnahmeverhandlungen geführt. Dies war auch der Türkei bekannt. Bereits kurze Zeit nach Öcalans Abreise aus Syrien, war sie vom italienischen Außenministerium brieflich über dessen mögliches Auftauchen dort informiert worden - verschiedene Abgeordnete luden ihn offiziell nach Italien ein. Schon Ende September hatte eine Sitzung des kurdischen Exilparlamentes im römischen Parlamentsgebäude die Standhaftigkeit der Regierung gegenüber heftigsten Drohungen aus Ankara auf die Probe gestellt. Die Romreise des Europasprechers der ERNK, Kani Yilmaz, muß Anfang November schließlich die letzten Zweifel beseitigt haben. Italien wurde - nach der Weigerung der russischen Regierung - als Zielland für die diplomatische Offensive ausgewählt. Am 12. November traf Öcalan in Rom ein und beantragte,einen politischen Status in Italien zuerkannt zu bekommen.
Während die Türkei Italien mit Drohungen überschüttet, bombardiert die türkische Luftwaffe die kurdische Region Dersim. Im ganzen Land finden Massenverhaftungen statt. Über 700 Menschen, vorwiegend Mitglieder der Partei HADEP wurden in den vergangenen Tagen festgenommen. Aufgehetzt von Regierung und Medien begehen türkische Faschisten Lynchjustiz in den Straßen. Im Gefängnis nahmen Anhänger der Grauen Wölfe einen italienischen Mithäftling als Geisel und folterten ihn schwer.
Mit seiner Präsenz in Europa wirft der PKK-Vorsitzende die Frage internationalen Handelns im Kurdistankonflikt neu auf. Seine Rolle als Feldherr, der von Syrien aus die Guerilla in den kurdischen Bergen befehligt, gehört nunmehr der Vergangenheit an. Jetzt liegt es in den Händen der Regierungen Europas Öcalans Rolle für die Zukunft aktiv mitzugestalten. Wer an einer friedlichen Beilegung des Krieges aufrichtig interessiert ist, muß die durch die diplomatische Offensive der kurdischen Seite entstandene Dynamik nutzen und nunmehr auch von der Türkei ein deutliches Signal für die Aufnahme von Friedensgesprächen fordern. Die Regierungen Italiens und auch Deutschlands haben sich bereits in diesem Sinne geäuert. Nun gilt es, die Initiative zu ergreifen und parallel Delegationen zu Öcalan und in die Türkei zu entsenden. Diese müssen im Gespräch mit dem PKK-Vorsitzenden dessen Bereitschaft zu einem ernsthaften Friedensdialog auszuloten und in Ankara das erhebliche Gewicht der deutsch-türkischen Beziehungen zur Initialisierung eines Friedensdialogs in die Waagschale werfen. Und noch immer wartet die bereits vielfach geforderte internationale Konferenz "Frieden in Kurdistan - Demokratie in der Türkei" auf ihre Realisierung.

Knut Rauchfuss 
## CrossPoint v3.1 ##


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