EU-Gipfeltreffen in Helsinki

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Wed Dec 15 10:33:00 GMT 1999


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Der Weg zum Frieden führt über die Seidenstraße

Über die geostrategischen Interessen des Westens in  
Kurdistan

(von Knut Rauchfuss, 29.11.99)
"Der Westen muß sich grundsätzlich entscheiden, welches  
Interesse er an der Türkei hat. Möchte er, daß die Türkei  
europäischer Staat wird? [...] Die jetzige Bundesregierung  
hat im Unterschied zu ihrer Vorgängerin [...] der Türkei  
offensiv angeboten - und hat sich dafür stark gemacht -  
Kandidatin für den Beitritt zur Europäischen Union zu  
werden." (Ludger Volmer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt  
der Bundesrepublik)(1)
Die Bundesregierung und im Gleichklang mit ihr die  
Regierungen der übrigen Staaten der EU haben sich  
entschieden. Im Dezember soll auf dem EU-Gipfel in Helsinki  
offiziell beschlossen werden, was längst Konsens unter den  
Vertragsstaaten ist: die Türkei wird in den Status der EU- 
Beitrittskandidatin gehoben werden.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Offizielle  
Beitrittsverhandlungen stehen damit noch nicht auf dem  
Programm. Dennoch ist es ein offenes Geheimnis, daß  
insbesondere die Bundesrepublik die Aufnahme des  
südöstlichen NATO-Partners in den Staatenbund aktiv  
anstrebt, wären da nicht noch gewisse Hindernisse zu  
bewältigen: Krieg, Verfolgung, Vertreibung, Armut, Elend,  
Unterdrückung, Folter und politischer Mord.
Ganz im ductus der seit Amtsantritt vorherrschenden  
Menschenrechtsrethorik wird die Bundesregierung demgemäß  
nicht müde zu betonen, daß letztlich alle Politik gegenüber  
dem Land am Bosporus dessen demokratischer Konsolidierung  
diene. In dieser deutschen Rethorik geraten außenpolitische  
Aktivitäten von der Unterstützung der Beitrittskandidatur  
bis zur Lieferung von Kriegsgerät, geraten zaghafter Protest  
gegen Menschenrechtsverletzungen und Krieg ebenso wie  
Passivität und Schweigen zur diplomatisch-didaktischen  
Großtat im Sinne proklamierter  
Demokratisierungsbestrebungen.
"Dies ist faktisch die einzige Möglichkeit auf die Politik  
der Türkei Einfluß zu nehmen," erklärt Volmer das deutsche  
und europäische Engagement und man könnte fast meinen er  
glaube dies selbst.(2)
Und ganz nebenbei verändert sich die Weltkarte, wird die  
Europäische Union bis Yüksekova reichen, und ein Teil  
Kurdistans wird ebenso dazugehören, wie die zur  
Unkenntlichkeit zerschlagenen Kleinstaaten des Balkan.  
Allein im Namen der Menschenrechte, versteht sich.

Auch die USA schlagen neuerdings bisher ungekannte Töne an,  
wenn es um die Türkei geht. In seiner Rede vor dem  
türkischen Parlament forderte Präsident Clinton im Vorfeld  
des OSCE-Gipfels die Türkei auf, auch den kurdischen Bürgern  
der Republik volle Gleichberechtigung zu geben. "Die  
Zukunft, die wir zusammen errichten möchten, beginnt mit den  
Fortschritten der Türkei, ihre Demokratie zu vertiefen,"  
erklärte der US-Präsident. "Souveränität darf nicht auf  
Angst basieren," mahnte er, Kemal Atatürk zitierend, die  
Abgeordneten und warb für das Recht auf freie  
Meinungsäußerung sowie kulturelle Freiheiten. "Wenn  
friedvolle Wege existieren, um normale menschliche  
Differenzen auszutragen, wird der Frieden bewahrt, nicht  
erschüttert. Wenn Menschen ihre Kultur und ihren Glauben in  
einer Weise ausüben können, die die Rechte Anderer nicht  
einschränkt, werden aus Moderaten keine Extremisten und aus  
Extremisten keine Helden." Außerdem warb Clinton für die  
Mitgliedschaft in der Europäischen Union. "Europa ist ebenso  
eine Idee, wie ein Ort - die Idee, daß Menschen vereint  
leben können ohne einheitlich zu sein. Es hat keine fixen  
Grenzen. Es reicht soweit die  Grenzen der Freiheit gehen  
können."(3)

Vor dem Hintergrund dessen, was wir aus der Vergangenheit  
über die Methoden europäischer und US-amerikanischer  
Türkeipolitik wissen, verblüfft dieser Sinneswandel  
zunächst, der sich in den Worten Clintons, ebenso wie in der  
europäischen Diplomatie auszudrücken scheint. Überrascht und  
zögerlich, gelegentlich gar euphorisch, glauben viele  
nunmehr ZeugInnen eines deutlichen Wandels der  
außenpolitischen Interessen des Westens zu werden. Und  
während wir noch erstaunt der Demokratisierungsrethorik  
lauschen, holen uns geplante Panzerlieferungen, Geschäfte  
mit Kampfhubschraubern und die Auslieferung von  
Oppositionellen wieder auf den Boden der Realität zurück.
Wie erklärt sich der Widerspruch zwischen neuer  
Demokratisierungsdiplomatie und militärischer Unterstützung?  
Markiert der erklärte Einsatz für Menschenrechte tatsächlich  
eine neue Zielsetzung in der europäischen oder  
nordamerikanischen Außenpolitik, bzw. stehen die  
außenpolitischen Absichten der EU und der USA überhaupt im  
Widerspruch zur Lieferung von Kriegsgerät?
Die Ziele und Interessen der neuen europäischen  
Türkeipolitik, die Wandlung ihrer Methoden, die Chancen aber  
vor allem auch die Risiken und Grenzen dieser Politik,  
lassen sich nur vor dem Hintergrund jener Veränderungen  
verstehen, die die Europäische Union selbst und ihr  
Verhältnis zu den USA in den letzten Jahren durchlaufen hat.

Über lange Jahrzehnte schienen die Fronten der Türkeipolitik  
klar. Welche Verbrechen auch immer Militär, Polizei,  
staatlich gelenkte Mafia oder die kemalistischen  
Biedermänner in Parlamenten und Verwaltung begingen, sie  
fanden ihre internationale Rechtfertigung in den  
militärstrategischen Interessen der NATO. Ob durch die  
sozial-liberale Koalition unter Bundeskanzler Schmidt oder  
die christlich-liberale Kohl-Regierung, die Bundesrepublik  
wurde der ihr im Rahmen des Bündnisses zugeteilten  
Zuständigkeit der militärischen Unterstützung durch  
Waffenlieferungen und Ausbildungshilfe stets gerecht.(4)
Im "Kalten Krieg" heiligte der Zweck jedes Mittel. Und die  
"Eindämmung des Kommunismus" war als Ziel heilig genug, die  
Zerschlagung der türkischen Linken nach dem Militärputsch  
von 1980 zu finanzieren. Hatte die NATO doch noch kurz zuvor  
einen wichtigen Alliierten durch die islamistische  
Revolution im Iran verloren. Den direkten Verlust eines  
Mitgliedsstaates wollte man sich keinesfalls leisten. Die  
NATO setzte auf Krieg und die türkischen Machteliten,  
Polizei und Militär führten ihn. Und von Anfang an traf er  
die kurdische Linke mit vielfacher Härte. Mit dem Erstarken  
des kurdischen Widerstandes und dem Beginn des  
Befreiungskampfes, sollte die Stabilität der Türkei mit dem  
militärischen Sieg über die kurdische Freiheit erkauft  
werden. Die systematische Zerstörung kurdischer Dörfer,  
Zehntausende von Toten, hunderttausende von Menschen auf der  
Flucht und all jene Bilder der Barbarei, die sich uns in  
mehr als 15 Jahren versuchter Niederschlagung des jüngsten  
kurdischen Aufstandes tief in die Erinnerung gebrannt haben,  
sie waren der Preis für die Stabilität des westlichen  
Bündnisses.
Auch nach dem Ende des "Kalten Krieges" verlor der NATO- 
Bündnispartner seine Sonderstellung nicht. Als  
geostrategischer Vorposten zum Nahen und Mittleren Osten  
blieb die Bedeutung der Türkei unverändert - auch und gerade  
gegenüber dem systematisch zur Bedrohung aufgebauten  
Politischen Islam. Das "Feindbild Islam" unterschied nicht  
mehr zwischen einzelnen Bewegungen und zog eine ganze  
Kulturgemeinschaft pauschal in den Sog der Diffamierung.(5)  
Wieder und wieder mußte die Argumentation von der  
kemalistisch-laizistischen Türkei als Garant gegen den aus  
den Nachbarstaaten drohenden "islamistischen Vormarsch" für  
die Rechtfertigung der Unterstützung des türkischen Staates  
herhalten.
Und der kurdische Aufstand in der Türkei hätte im  
Erfolgsfall nicht nur die Ostgrenzen der NATO, sondern ganz  
konkret den uneingeschränkten Zugriff auf die Militärbasen  
in Incirlik, ebenso wie den Ausbau der GAP-Staudammprojekte  
zur Kontrolle der Wasserreserven aus Euphrat und Tigris  
bedrohen können.
Das Interesse des Westens bestand folglich in der  
Stabilisierung der Regierung in Ankara und der  
Stabilisierung eines Militärs, das in Kurdistan auf die  
Karte der gewaltsamen Lösung setzte. Weder die USA, noch die  
Länder Europas betrieben dabei eine gezielt antikurdische  
Außenpolitik. Für sie war es lediglich egal, auf welche  
Weise die gewünschte Stabilität erreicht würde. Das Sterben  
in Kurdistan war für den Westen somit stets der billigend in  
Kauf genommene Preis für "höherwertige" geostrategische  
Interessen. Die strategische Instrumentalisierung galt für  
die zum "terroristischen Feind" erklärte PKK in  
Nordkurdistan ebenso, wie für die nach 1991 zur  
Destabilisierung des Iraks instrumentalisierten "Freunde" im  
Süden Kurdistans.
Diese von den Ländern der NATO bis auf kleine Nuancen  
weitgehend einheitlich betriebene Politik war dabei kaum  
ökonomisch motiviert. Die Handelsbeziehungen mit der Türkei  
gediehen prächtig und erlitten durch den Krieg in Kurdistan  
sogar eher gewisse Nachteile. Die ökonomische Anbindung der  
Türkei an die Europäische Union konnte über deren  
Mitgliedschaft in der Zollunion zur Zufriedenheit des  
europäischen Kapitals betrieben werden, und mit einer  
verhaltenen Kritik an der Menschenrechtssituation ließ sich  
gar die Auszahlung der im Rahmen der Zollunion vereinbarten  
Ausgleichszahlungen sperren. Auf dieser Basis bestand lange  
Zeit kein wirkliches Interesse daran, die Türkei zum  
Vollmitglied des Staatenbundes zu machen.
So entsprachen die zur Zurückweisung der regelmäßig  
vorgebrachten türkischen Beitrittsbegehren angeführten  
Argumente - die plötzlich die Demokratiedefizite des Landes  
ins Zentrum der Kritik rückten - auch niemals der wirklichen  
Motivation für den Ausschluß. Die Regierung in Ankara wußte  
nur zu gut, daß nicht Krieg und Menschenrechtsverletzungen  
die Tür nach Europa verschlossen hielten, durch die doch  
stets auch weiterhin Geld und Waffen zur Unterstützung eben  
jener Verbrechen hindurch gereicht wurden. Es war ein  
offenes Geheimnis, daß die "Festung Europa" in Wirklichkeit  
den Zustrom von Flüchtlingen im Rahmen der Freizügigkeit  
fürchtete und obendrein die türkische Ökonomie noch nicht  
für beitrittsreif hielt. Und die in der EU maßgeblichen  
Konservativen und ChristdemokratInnen, sie glaubten wirklich  
an die selbst geschaffene islamistische Gefahr, die sich  
bereits in der Türkei breit mache und Europa bedrohe, jenen  
"christlichen Club" der sich in eurozentristischer  
Überheblichkeit ohnehin den Beitritt eines Landes mit  
islamischer Bevölkerung nicht vorstellen konnte.(6)

Über diese Punkte hinaus gab es keine einheitliche  
Türkeipolitik im heterogenen Staatenbündnis, ebensowenig,  
wie eine einheitliche Europäische Außenpolitik im Nahen und  
Mittleren Osten insgesamt. Diese blieb stets auf einzelne  
Mitgliedstaaten, allen voran Großbritannien und Deutschland  
beschränkt. In Situationen somit, in denen die EU  
tatsächlich ernsthaft Kritik an den türkischen Verbrechen  
gegen die Menschenrechte übte - und erst Recht in jenen in  
denen diese Kritik nur verlogenen Charakter hatte - konnte  
die Türkei ihre europäischen Bündnispartner gegeneinander  
und gegen die USA perfekt ausspielen. Ihren ökonomischen  
Einfluß als wichtigster Handelspartner der Türkei, mochte  
die EU niemals in die Waagschale werfen und diplomatisch  
konnte sich die Regierung in Ankara stets auf die  
bedeutendere USA zurückziehen. Grundsätzlich waren die US- 
amerikanischen geostrategischen Interessen im Rahmen der  
NATO ähnlicher Art wie die Europäischen. Als Hegemonialmacht  
in der Region setzten die USA nur noch rigoroser auf die  
türkische Karte.

In den vergangenen Jahren und speziell in den letzten  
Monaten, in denen nun alle von der Demokratisierung  
sprechen, hat sich an den politischen, ökonomischen und  
militärstrategischen Interessen weder für die USA, noch für  
die EU substantiell etwas geändert. Was sich geändert hat  
ist die EU selbst und die Rolle, die sie in der Zukunft zu  
spielen gedenkt.
Insbesondere durch die Wahlen in Großbritannien, Frankreich,  
Italien und zuletzt in Deutschland hat die Europäische Union  
einen Wandlungsprozeß durchlaufen, der sich am treffendsten  
als "Sozialdemokratisierung" des politischen Profils  
beschreiben läßt. Insbesondere unter den führenden  
Regierungen wurden die Konservativen Parteien auf die  
Oppositionsbänke verbannt. Zahlreiche zwischenstaatliche  
Widersprüche insbesondere im Bereich der EU-Außenpolitik  
sind damit in den Hintergrund getreten und haben zu einem  
einheitlicheren Auftreten geführt. Den bislang letzten  
großen "Homogenisierungsschub" hat die Europäische  
Außenpolitik im Rahmen des Balkankrieges erfahren. Mit  
diesem Schritt ist der Staatenbund zum Bündnis avanciert,  
das sich seiner Macht bewußt, fortan der Sicherung und  
Ausdehnung seiner Interessenssphären, auch im Widerspruch zu  
den USA zu widmen gedenkt.(7)
Das "Bemühen der herrschenden Klassen hochentwickelter  
kapitalistischer Länder, ihre ökonomischen und politischen  
Interessen international auch gegen das Widerstreben anderer  
durchzusetzen" erfährt in einer europäischen "expansiven  
Sicherungspolitik" eine neue imperialistische  
Hochkonjunktur.(8) Während die Ausdehnung der Union ins  
nördliche Osteuropa über die "friedliche" Aufnahme der  
BeitrittskandidatInnen vollzogen wird, markiert die  
Zerschlagung Jugoslawiens und die damit verbundenen  Kriege  
auf dem Balkan die blutige Variante zukünftiger europäischer  
Osterweiterung, gekleidet in die Rethorik humanitärer  
Zielsetzungen.(9) Gelohnt hat sich der Feldzug nicht nur für  
die europäischen Rüstungsindustrien.(10) Schon jetzt gieren  
die ökonomisch abhängigen Kleinstaaten Croatien, Slowenien  
und Mazedonien nach der Aufnahme in das europäische  
Großmachtbündnis.(11) Bosnien sowie die noch immer  
jugoslawischen Teilrepubliken Kosovo und Montenegro, haben  
bereits die D-Mark als offizielles Zahlungsmittel  
eingeführt.(12)
Mit Javier Solana, der als ehemaliger NATO-Generalsekretär  
während des Balkankrieges zu europaweiter Popularität  
gelangte, hat die EU nun ihren neuen "Außenminister"  
gefunden. Als außenpolitischer Beauftragter wird Solana ab  
Ende November auch den Vorsitz des europäischen  
Verteidigungsbündnisses der WEU (13) übernehmen, deren  
Integration in die EU auf dem EU-Gipfel in Helsinki geplant  
ist.(14) Die Vollendung der Herausbildung einer Großmacht  
Europa, mit gemeinsamer Außenpolitik und Militärunion soll  
noch im kommenden Jahr über innereuropäische Reformen  
abgesichert und abgeschlossen werden.(15)

Erstmals besteht in dieser neuen Situation auch ein  
tatsächliches Interesse, die Türkei mittelfristig zum  
regulären Mitglied der Großmacht EU zu machen und damit die  
direkte europäische ökonomische und militärstrategische  
Einflußnahme im Nahen und Mittleren Osten zu etablieren und  
abzusichern - auch in Konkurrenz zum NATO-Bündnispartner  
USA.
Die Interessen der EU an diesem Schritt sind vielfältig.  
Neben der Ausweitung der geostrategischen Einflußsphäre  
dürfte vor allem der Zugriff auf die Erdölvorkommen am  
Kaspischen Meer eine maßgebliche Rolle spielen. Dort liegen  
Erdölreserven, die mitunter als die zweitgrößten der Welt  
gehandelt werden. Die einzige nutzbare Pipeline führte  
zunächst über Russland, von Baku nach Noworossisk an die  
Schwarzmeerküste.(16) Diese Route bietet jedoch heute, durch  
die politischen Entwicklungen im Kaukasus, den dortigen  
russischen Kontrollverlust und die Kriege in Tschetschenien  
und Dagestan, bis auf weiteres keine Perspektive für die an  
der Ausbeutung der Vorkommen interessierten internationalen  
Konzerne, so daß sie aus der mittelfristigen Planung  
weitgehend verschwinden mußte.(17) Im April dieses Jahres  
wurde eine weitere ins georgische Supsa eröffnet, die  
erstmals nicht über russisches Territorium führt.(18) Die  
Unsicherheit ob Rußland nach Beendigung des Krieges im  
Nordkaukasus nicht versuchen wird, weiter in den Südkaukasus  
vorzudringen, scheint Europa wie den USA jedoch zu groß.  
Daher war seit langem auch die Routenführung von Baku in den  
türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan im Gespräch. Diese Route  
scheiterte jedoch bisher einerseits an den beteiligten  
Ölkonzernen, für die die Route Baku-Ceyhan mit Abstand die  
teuerste Trassenführung darstellt und andererseits an der  
schlichten Tatsache, daß dieser Weg mitten durch Kurdistan  
und damit ebenfalls durch Kriegsgebiet führt.
Während Rußland noch versucht, die Vorherrschaft über den  
Kaukasus und damit über die Nordroute zurück zu erbomben,  
wurde auf dem OSCE-Gipfel in Istanbul schließlich die  
Unterzeichnung eines Vertrages für die neue Pipeline Baku- 
Ceyhan vereinbart. Die beteiligten Staaten haben die  
Konzerne so weit von den Kosten entlastet, daß der Bau für  
diese wieder lukrativ erscheint. Die Türkei beispielsweise  
verzichtet für 10 Jahre auf ihre Einnahmen aus dem  
Geschäft.(19)

Doch nicht alleine der 4 Milliarden Dollar umfassende  
Pipelinebau rechtfertigt heute das europäisch- 
nordamerikanische Interesse an einer befriedeten kurdischen  
Region in der Türkei. Im Verlauf der Trasse sollen  
Handelsstraßen entstehen, Eisenbahnlinien und ein  
Luftkorridor, der die unabhängigen Staaten der  
Kaukasusregion aus der territorialen Isolierung befreien  
soll. Dabei geht es vor allem darum, Transport- und  
Verkehrswege zu erschließen, die weder über Rußland, noch  
über den Iran führen.(20) Auch die im Zuge einer  
angestrebten Entspannung zwischen Israel und Syrien  
vorgesehene Wiedereröffnung des Landweges von Tel Aviv nach  
Ankara führt über Kurdistan.(21)
Mit der Entscheidung, die Türkei mittelfristig als  
Vollmitglied aufnehmen zu wollen und damit die  
geostrategische Schlüsselposition des Landes zu einer EU- 
Schlüsselposition zu machen, und mit der Erkenntnis, nunmehr  
auch ein Maß an außenpolitischer Handlungsfähigkeit erreicht  
zu haben, die dieses Ansinnen nicht mehr rundweg in den  
Bereich der realitätsfernen Zukunftsträume verbannt, hat  
sich die EU direkt nach Beendigung des Balkankrieges dem  
ehrgeizigen Vorhaben Türkei-Integration zugewandt.
Die reguläre Einbindung der Türkei als Mitglied der EU  
erfordert jedoch die Befriedung Kurdistans sowie  
Veränderungen in der politischen Verfaßtheit der Türkei und  
deren ökonomische und soziale Stabilisierung. Andernfalls  
wäre weder die ökonomische Nutzung Kurdistans denkbar, noch  
die im Sinne der "Festung-Europa" notwendige Kontrolle über  
mögliche Migrationsbewegungen innerhalb der Union möglich.
Dabei macht sich die objektive Konkurrenzsituation zu den  
USA bei der Vorbereitung zukünftiger Hegemonien im Nahen und  
Mittleren Osten interessanterweise subjektiv derzeit noch  
kaum bemerkbar. Für beide ist die Demokratisierung der  
Türkei zum Schlüssel der Befriedung Kurdistans geworden und  
beide wollen diesen Frieden, den sie militärisch nicht  
erzwingen konnten. Gelegentlich scheint es sogar, als  
konkurrierten die USA und die EU derzeit darin, wer die  
Regie über einen Demokratisierungsprozeß führen wird und wer  
sich damit den Einfluß auf die Zukunft sichert.
Für die EU hat sich Deutschland in die Schlüsselposition des  
Neugestaltungs- und Erweiterungsprozesses katapultiert. Mit  
dem ehemaligen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Günter  
Verheugen (SPD), der nun als EU-Kommissar für die  
Erweiterung der Union zuständig ist, und dem mit  
Außenminister Fischer eng vertrauten Europaparlamentarier  
Daniel Cohn-Bendit (Grüne), der in Straßburg im Juli den  
Vorsitz über die europäisch türkische ParlamentarierInnen- 
Kommission übernahm, besetzt die Bundesregierung zwei  
zentrale Positionen innerhalb dieses während ihrer  
Ratspräsidentschaft eingeleiteten Prozesses.
Sowohl für die USA, als auch für die Europäische Union kann  
es sich in Zukunft als entscheidend erweisen, wer diesem  
Prozeß seinen Stempel aufzudrücken vermag; sprich: wer in  
der Zukunft seine Vorherrschaft in der Region auszubauen  
versteht oder zu verlieren riskiert. Daher setzen beide  
vordergründig einheitlich auf den Demokratisierungsprozess  
in der Türkei als Schlüssel zur zukünftigen Hegemonie in der  
Region. Trotz konkurrierender Interessen in diesem Prozeß  
resultiert auf der politischen Ebene ein synergistisches  
Handeln, das es der Türkei derzeit erschwert, die EU und die  
USA wie in der Vergangenheit gegeneinander auszuspielen.
Das Rennen um die Demokratisierung hat begonnen - für die  
EU: unter deutscher Regie. Interessant erscheint insofern  
ein Blick auf die Wege und Ziele, die die EU für die von ihr  
favorisierte Form der Demokratisierung anstrebt, denn nur  
aus ihnen lassen sich Chancen und Risiken dessen ableiten,  
was mit diesem Kurs möglich ist.
"Wir wollen die Türkei demokratisch, friedlich,  
multikulturell und vereint," faßte der griechische  
Außenminister Papandreou die Rahmenbedingungen der  
europäischen Integrationspolitik Anfang November  
zusammen.(22) Diese ergeben sich als Bedingungen aus Artikel  
49 in Verbindung mit Artikel 6 des Amsterdamer EU- 
Vertrages(23), sowie den vom Europäischen Rat 1993 in  
Kopenhagen formulierten Beitrittskriterien. Danach ist  
Voraussetzung für einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft, daß  
ein Staat folgende Grundsätze achtet: Freiheit, Demokratie,  
Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie  
Rechtsstaatlichkeit. Auch eine Lösung des bewaffneten  
Konfliktes in Kurdistan ist formal über diese Kriterien mit  
erfaßt. In einem Briefwechsel mit dem deutschen  
Bundeskanzler Schröder im Vorfeld des Europäischen Rates  
Anfang Juni in Bonn, erkannte der türkische  
Ministerpräsident Bülent Ecevit die o.g. Verpflichtungen und  
Beitrittskriterien als verbindlich für die Türkei an und  
bekräftigte die Entschlossenheit, entsprechende Reformen  
durchzuführen. Auch existieren Zusagen über Gespräche zur  
Erarbeitung eines "Fahrplanes" für die Durchführung von  
Reformen.(24)
Und in der Tat drängen die europäischen Regierungen nicht  
nur mit Hochdruck auf eine Lösung des Zypernkonfliktes. In  
Straßburg arbeiten gar europäische Rechtsexperten bereits in  
an einem Entwurf für eine neue Verfassung der Türkei, die  
den Kopenhagener Kriterien genügt, und das Land auf diesem  
Gebiet formal integrationsfähig machen soll.(25)
Doch wie weit gehen die Demokratievorstellungen der EU  
wirklich?
In seiner Rede bei der Vorbereitungskonferenz zum  
Stabilitätspakt für Südosteuropa wies Bundesaußenminister  
Fischer explizit auf die historischen Vorbilder hin, die der  
Bundesregierung für die Demokratisierung der Region  
vorschweben: "Es hat sich wiederholt gezeigt, welch  
mächtige, friedensstiftende Kraft in der europäischen Idee  
steckt - bei der Aussöhnung der 'Erbfeinde' Deutschland und  
Frankreich, bei der Überwindung des Erbes der Diktatur in  
Spanien, Portugal und Griechenland, zuletzt bei der  
gesellschaftlichen Transformation und der Überwindung von  
Minderheiten- und Grenzproblemen in  Mittel- und  
Osteuropa."(26)
Gerade in Griechenland nach dem Ende der Obristendiktaur und  
im postfranquistischen Spanien wurde die Demokratisierung  
der Gesellschaften allerdings unter Beibehaltung der  
herrschenden Eliten betrieben. Die juristische Aufarbeitung  
der von den jeweiligen Diktaturen begangenen Verbrechen kam  
nur schleppend voran oder fand überhaupt nicht statt. Die  
Staatsapparate und Verwaltungen, Polizei und Militär blieben  
bis auf wenige personelle Veränderungen im Kern  
unangetastet. (27,28)
Wie weitergehende Forderungen gegebenenfalls ausgehebelt  
werden, mit welchen Mitteln eine mögliche Hegemonie  
fortschrittlicher Kräfte in Demokratisierungsprozessen  
hintertrieben werden kann und wie die Grenzen maximaler  
europäischer Demokratiebereitschaft gewahrt bleiben, zeigt  
die Sozialdemokratisierung der sozialistischen  
portugiesischen Nelkenrevolution, die insbesondere durch die  
deutsche Sozialdemokratie induziert wurde.(29)
Der im Frühsommer 1999 auf dem G8 Gipfel in Köln  
verabschiedete Stabilitätspakt basiert auf der Grundidee,  
daß eine politische Stabilisierung Südosteuropas im  
sicherheitspolitischen Interesse der EU liege. Als Anreiz  
bietet die EU die stufenweise Integration über Stabilitäts-  
und Assoziierungsverträge an.(30) Und auch wenn die Türkei  
nicht explizit unter den für diesen Pakt vorgesehenen  
Ländern aufgeführt ist, sondern bereits auf einer höheren  
Stufe des Aufnahmeprozesses gehandelt wird, so gehorchen die  
Integrationsstrategien doch denselben Gesetzmäßigkeiten.  
Gleichzeitig verabschiedete das Gipfeltreffen der  
Europäischen Union eine Erklärung zum Ausbau der  
militärischen Schlagkraft Europas. "Wir, die Mitglieder des  
Europäischen Rates," heißt es dort, "wollen entschlossen  
dafür eintreten, daß die Europäische Union  ihre Rolle auf  
der internationalen Bühne uneingeschränkt wahrnimmt. Hierzu  
beabsichtigen wir, der EU die notwendigen Mittel und  
Fähigkeiten an die Hand zu geben, damit sie ihrer  
Verantwortung im Zusammenhang mit einer gemeinsamen  
europäischen Sicherheits- und  Verteidigungspolitik gerecht  
werden kann." Es folgen Ausführungen über die dafür  
notwendige "Umstrukturierung der europäischen  
Verteidigungsindustrien".(31)

Nach menschlichem Ermessen und nach sorgfältiger Betrachtung  
von Friedensprozessen in anderen Abschnitten der Geschichte  
dürfte der gemeinsame Wille der USA und der EU mittelfristig  
tatsächlich hinreichen, eine demokratische Veränderung der  
Türkei und Frieden in Kurdistan herbeizuführen. Dieser Wille  
ist jedoch weder ein Selbstzweck noch an den tatsächlichen  
Bedürfnissen der kurdischen Bevölkerung oder der  
demokratischen Kräfte der Türkei orientiert. Er orientiert  
sich an den geostrategischen Interessen der USA und der EU.  
Dazu gehört es nicht nur, die Türkei weiterhin  
uneingeschränkt mit jenen Waffen auszustatten, die sie im  
Rahmen des Bündnisses befähigen, die ihr zugedachte Rolle  
auch in Zukunft zu erfüllen.
Auch die Auslieferung des Vorsitzenden der Arbeiterpartei  
Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, an die Türkei gehörte zu  
den Schritten einer europäisch-nordamerikanisch-türkischen  
Lösung der kurdischen Frage.
Als der Öcalan im vergangenen Jahr in Rom eintraf, war die  
Verständigung der EU auf eine gemeinsame Außenpolitik  
gegenüber der Türkei noch nicht abgeschlossen. Diese  
Verständigung zog sich über mehrere Monate hin und endete in  
der sorgfältig abgewogenen Auslieferung des PKK- 
Vorsitzenden.
Doch bereits in den - teils widersprüchlichen - Erklärungen  
verschiedener Regierungen aus jener Zeit zeichneten sich  
schon zentrale Aspekte ab, die sich auch in der heutigen  
Demokratisierungspolitik wiederfinden lassen: eine Lösung  
der kurdischen Frage sollte ohne die gestalterische  
Beteiligung der kurdischen Seite, insbesondere ohne  
Beteiligung der PKK stattfinden. Nur das öffentliche  
Interesse an Öcalans Aufenthalt in Rom, und der Versuch der  
PKK die EU zu einer Parteinahme zu bringen, schien diese  
Absicht zeitweise zu durchkreuzen.
Die europäische Position hat sich in diesem Punkt bis heute  
wenig geändert. Man wolle die PKK nicht als "Vertreterin  
eines politischen Anliegens aufwerten", hieß es noch im Juni  
in deutlichen Worten aus dem Auswärtigen Amt und  
unterscheide "zwischen den berechtigten politischen Anliegen  
der kurdischen Bevölkerung und dem Terrorismus bzw.  
Seperatismus ..."
Stattdessen setzt die EU auf den sozialen Wiederaufbau des  
zerstörten Landes, hier auch unter Einbindung der legalen  
kurdischen Parteien.
Um nicht falsch verstanden zu werden, die von EU-Seite  
angestrebte Demokratisierung wird in vielen Bereichen  
Verbesserungen für die kurdischen und türkischen  
demokratischen Kräfte mit sich bringen. Es macht real einen  
großen Unterschied, ob man in Zukunft nicht mehr auf offener  
Straße willkürlich ermordet oder verhaftet werden kann, ob  
Menschen nicht länger systematisch abgeholt und in  
Polizeihaft gefoltert, umgebracht oder "verschwunden"  
gelassen werden und es macht einen riesigen Unterschied,  
wenn es gelingen sollte dem Morden in Kurdistan ein Ende zu  
bereiten.
All dies kann aber nicht das Ziel sondern nur die  
Ausgangsbasis wirklicher Demokratisierung sein. Letztere  
wird auch in Zukunft noch weiter politisch erstritten werden  
müssen - notfalls auch gegen die Interessen der Europäischen  
Union. Hierauf gilt es sich schon heute vorzubereiten.

(Knut Rauchfuss, 29.11.99)


1 Streitgespräch zwischen Ludger Volmer und dem Autor. WDR  
III, 05.09.99

2 ebd.

3 Pressebüro des Weißen Hauses, 15.11.99

4 Thomas Klein "Deutsch-türkische Waffenbrüderschaft" in:  
analyse & kritik 432, 11/99

5 J. Hippler und A. Lueg "Das Feindbild Islam in den  
westlichen Medien" Hamburg 1993

6 K. Rauchfuss "... erkämpft das Menschenrecht ? -  
Kinkelbesuch in der Türkei" in: SoZ 8/1997

7 Winfried Wolf "Bombengeschäfte - Zur politischen Ökonomie  
des Kosovo Krieges", Hamburg 1999

8 Georg Fülberth "Stammtischzerlegung - Wessen Krieg ist der  
Kosovokrieg?" in konkret 7/999 Noam Chomsky "The New  
Military Humanism", Monroe 1999

10 Winfried Wolf a.a.O. Hamburg 1999

11 Michel Collon "Poker menteur. Les grandes puissances, la  
Yugoslavie et les prochaines guerres.", Brüssel 1999

12 junge Welt vom 03.11.1999

13 WEU = Westeuropäische Union

14 Anton Landgraf "Solanas Macht" in jungle world 47/99

15 Angela Klein "Autoritäre EU-Reform" in SoZ 24/99

16 Jean Radvanyi "Der Westen knüpft in Mittelasien ein  
geostrategisches Transportnetz - Die neue Seidenstraße führt  
an Rußland vorbei" in Le Monde diplomatique vom 12.06.1998

17 Michel Collon a.a.O. Brüssel 1999

18 Klaus-Helge Donath "Der Kampf ums Öl" in taz vom  
27.11.1999

19 Jürgen Gottschlich "Die moderne Seidenstraße wird gebaut"

20 Jean Radvanyi a.a.O. Le Monde diplomatique vom 12.06.1998

21 Jürgen Gottschlich "Die Türkei auf dem Weg nach Europa?"  
in taz vom 22.07.1999

22 Gespräch mit dem Autor am 3.11.99, Cambridge, USA

23 Fassung vom 02. Oktober 1997

24 Bundestags-Drucksache 14/1368

25 Streitgespräch zwischen Ludger Volmer, Staatssekretär im  
Auswärtigen Amt und dem Autor. WDR III, 5.9.99

26 Josef Fischer "Südosteuropa am Wendepunkt" Rede bei der  
Vorbereitungskonferenz zum Stabilitätspakt für Südosteuropa  
auf dem Petersberg bei Bonn, 27.05.99

27 Periklis Korovessis "Die Menschenwärter", Vorwort zur 2.  
Dt. Auflage, Frankfurt Main 19812
amnesty international "Folter in Griechenland - Der erste  
Prozeß gegen Folterer 1975", Baden-Baden 1975

28 Walther L. Bernecker "Spaniens Geschichte seit dem  
Bürgerkrieg", München 1984

29 Günter Schröder [Hrsg.] "Portugal: Materialien und  
Dokumente" Bd. 1-5 Gießen 1975

30 Hans-Georg Erhard "Stabilitätspakt für Südosteuropa" in  
Blätter für deutsche und internationale Politik 8/99

31 "Erklärung des Europäischen Rates zur Stärkung der  
gemeinsamen europäischen Sicherheits- und  
Verteidigungspolitik." Gipfeltreffen der EU, Köln 3. und 4.  
Juni 1999
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** Vom Ende einer Null zum Anfang der Nächsten erweist sich der Sinn als einfacher Akt des Wollens **
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