Den Frieden jetzt denken
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Wed Jan 6 16:11:00 GMT 1999
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Der Kommentar erscheint in SoZ 1/1999
Den Frieden jetzt denken lernen
PKK benötigt Korrektur der Selbstwahrnehmung
Nach 15 Jahren Krieg in Kurdistan, nach mehr als 30.000
Toten, Millionen von Flüchtlingen, unzähligen von
Verletzten, Verhafteten und Verschwundenen ist die kurdische
Frage, ebenso wie die Frage der Demokratisierung der Türkei
an einem Wendepunkt angekommen. An einem Wendepunkt für die
Politik der europäischen Regierungen, die durch die
Unterstützung des NATO-Bündnispartners in den vergangenen
Jahren einen bedeutenden Anteil an den Massakern in
Kurdistan tragen und heute eine Lösung für die Beendigung
der von ihnen mitverschuldeten Verbrechen suchen müssen; an
einem Wendepunkt für die Türkei selbst, in der immer mehr
Menschen wissen und es auch zunehmend öffentlich sagen, daß
die Fortführung des Krieges keine Perspektive für die
Zukunft sein kann; an einem Wendepunkt aber auch für die
PKK, die, seit sich ihr Vorsitzender Abdullah Öcalan in
Europa befindet, eine eindeutige Orientierung hin zu einer
diplomatischen Lösung der Kurdistanfrage getroffen hat und
nunmehr gefordert ist, diesen Weg zu konkretisieren.
Doch genau an jenem Punkt, der inhaltlichen Konkretisierung
eben jener politischen Lösung, die die PKK fordert, hüllt
sich die Organisation bis heute in geheimnisvolles
Schweigen. Zwar war die Ankunft Öcalans in Europa
organisatorisch gut vorbereitet, doch drängt sich heute die
Frage auf, ob inhaltliche Konzeptionen für eine politische
Lösung bereits ebenso weit gedacht wurden. Die
diesbezüglichen Verlautbarungen aus Rom wirken mehr wie ein
hilfloses Rudern im Ozean der neu gewonnen
Medienöffentlichkeit, denn wie eine zielgerichtete Offensive
zur Stärkung der politischen Positionen der Partei.
Äußerungen Öcalans, die mit der eigenen Rolle als
Vorsitzender der Partei auch die Verantwortung für die
Vergangenheit der Organisation zur Disposition stellen und
nicht davor zurückschrecken, die eigenen AnhängerInnen zu
beschimpfen und der Weltöffentlichkeit den Bären aufbinden
zu wollen, er sei von der eigenen Organisation über
Jahrzehnte hinweg falsch verstanden worden, sind nicht nur
realitätsfremd und vermessen, sie werden obendrein dort
gefährlich, wo sie - und sei es aus propagandistischen
Pokerspielen heraus - den Eindruck erwecken der politische
und militärische Führer der PKK zöge sich aus seiner
Verantwortung zurück und suche einen privaten Lebensabend
zwischen Europa und den USA. Auch wenn die PKK eine
wirkliche Demokratisierung und Dezentralisierung ihrer
Strukturen mehr als nötig hat, so wäre es für eine
Organisation, die sich im bewaffneten Kampf befindet, mehr
als fatal, zum Zeitpunkt einer diplomatischen Offensive die
Führung auszutauschen, obendrein wenn, wie im Falle der PKK
die gesamte, auch die zivile Struktur, in zentralistischer
Weise auf eben jene Führung hin ausgerichtet ist. Ein Abgang
Öcalans, und sei er auch nur ein angedrohter, hieße mit dem
Eindruck zu spielen, die PKK könnte zum Zeitpunkt
diplomatischer Stärke plötzlich kopflos werden, bevor neue
Köpfe an Einfluß gewinnen konnten. Dies hieße der
Organisation eine empfindliche Schwäche zuzufügen, deren
Auswirkungen für die kurdische Sache nur schwer kontrolliert
werden können.
Mehr Medienöffentlichkeit ließe sich hingegen mit gezielten
Vorschlägen, mit Positionen und Forderungen an die türkische
Seite und an die europäischen Regierungen erzielen, die über
die bloße und sterile Forderung nach kultureller Autonomie
hinausgehen. Kulturelle Autonomie kann sich schlimmstenfalls
darin erschöpfen, der Türkei das Zugeständnis abzuringen,
daß im sogenannten "Osten des Landes" ein wenig die
kurdische Sprache gesprochen, Volkstänze getanzt und zu
Volksfesten auch kurdische Trachten getragen werden dürfen.
Für diese Form der "Autonomie" sind die Menschen in den
letzten 15 Jahren nicht gestorben, haben sich die
Inhaftierten nicht foltern lassen, haben Angehörige nicht
das Verschwinden ihrer Söhne und Töchter beweint. Eine
wirkliche Autonomie umfaßt Konzepte für
Selbstverwaltungsstrukturen, politische Verfaßtheit,
Bildungs- und Erziehungswesen, Sozialsysteme, kurzum für
alle Gesellschaftsbereiche nicht nur der autonomen Region
selbst, sondern auch Forderungen an die Verfaßtheit jener
türkischen Republik, die in Zukunft den Fortbestand einmal
getätigter Zugeständnisse für eine kurdische Autonomie
garantieren soll, ohne daß diese von den kemalistischen
Eliten jederzeit nach Gutdünken wieder eingeschränkt oder
zurückgenommen werden können.
Solche Konzepte und Forderungen liegen jedoch bislang nicht
auf dem Tisch, nicht zuletzt, weil die Selbstwahrnehmung der
kurdischen Bewegung bislang nicht im Stande war, Visionen
für eine friedliche Gesellschaftsordnung wirklich zu denken.
Die PKK hat den Krieg gegen das türkische Militär über eine
lange Zeit hinweg mit der Zielsetzung geführt, einen freien
kurdischen Staat zu erkämpfen. Strategie und Taktik der
Kriegsführung und das Primat des Militärischen vor dem
Politischen waren genau auf dieses Ziel hin ausgerichtet. In
der Hoffnung, einen freien Staat mit der Waffe in der Hand
von den Bergen Kurdistans aus erkämpfen zu können, mußten
sich sämtliche zivilen Strukturen den militärischen
Kommandostrukturen in Damaskus unterordnen. Das Jahr 1993,
in dem die Forderung nach einem eigenen Staat durch die
Forderung nach kultureller Autonomie innerhalb einer
föderativen Türkei ersetzt wurde, brachte jedoch keine
Anpassung dieser Denkweisen mit sich. Konzepte für die neuen
Ziele des Kampfes wurden nicht entwickelt.
Und das aus gutem Grund: weiterhin bestimmte die
rücksichtslose Unterdrückung jeden kurdischen
Selbstbewußtseins durch den Repressionsapparat des
türkischen Staates den Lebensalltag der Menschen, die
Realität all jener, die im zivilen wie im militärischen
Bereich versuchten, sich der Unterdrückung
entgegenzustellen. Und sie begründete damit obendrein auch
die Selbstwahrnehmung der kurdischen Bevölkerung im
Europäischen Exil, wie in den Bergen Kurdistans, ihrer
Organisationen und Strukturen: eine Selbstwahrnehmung die
sich zu Recht in der Rolle der ewigen Opfer sieht, sich
jedoch darin zu erschöpfen droht; eine politische Kultur,
die nicht nur in der PKK verhindert hat den Frieden zu
denken, Visionen für eine Gesellschaft nach der Beendigung
von Krieg und Unterdrückung zu entwickeln und Forderungen
für eine solche Zukunft daraus abzuleiten.
Heute ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die PKK ultimativ
gefordert ist diese aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Das
diplomatische Gezerre um den Status Öcalans in Italien darf
nicht länger den Blick auf Kurdistan verstellen. Wenn die
PKK die Dynamik, die sie mit ihrem hervorragenden
diplomatischen Schachzug geschaffen hat, nicht verstreichen
lassen will, müssen nun jene Ideen, Forderungen und Konzepte
entwickelt werden, die es hoffentlich bald an einem
Verhandlungstisch zu verteidigen gilt. Andernfalls verspielt
sie das Vertrauen der kurdischen Bevölkerung in eine bessere
Zukunft in einem, wenn auch medienwirksamen
Öffentlichkeitsspektakel.
Knut Rauchfuss
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